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Interviews

Christoph Koncz

Interview anlässlich des Bach Festival Bern im Dezember 2005:

Wo orten Sie Ihre Wurzeln – als Musiker wie als Bürger?

Ich bin in eine Familie hineingeboren, deren Mitglieder alle auf professionelle Weise Musik machen: mein Vater ist Dirigent, meine Mutter Flötistin, mein Bruder ist Cellist und meine Schwester studiert Klavierpädagogik. Als Jüngster wurde ich schon sehr früh in die Aktivitäten der Anderen miteingebunden, und meine ersten Kratzversuche wurden wohlwollend gebilligt, wohl auch um den Hausfrieden nicht zu gefährden. Ich wurde behutsam in die »großen Geheimnisse« der Musik eingeführt: Ich kann mich noch gut erinnern, dass meine Mutter anlässlich eines Haydn-Trios die Bemerkung fallen ließ, die letzte Note einer Phrase sei nie zu betonen – damit erklärte sie mir (mit meinen sechs oder sieben Jahren) auch schon eine der Grundregeln der Wiener Klassik.

Musikalisch wie geographisch fühle ich mich in Wien beheimatet. Das ist auch deswegen interessant, weil ich – vielleicht typisch für einen »echten Wiener« – weder in Wien geboren wurde noch meine Eltern aus Wien stammen: meine Mutter kommt aus der Steiermark, mein Vater stammt aus Budapest; allerdings haben sie einander als Studenten in Wien kennen gelernt. Ich selbst bin in Konstanz geboren und habe dort meine ersten Lebensjahre verbracht, da mein Vater zu dieser Zeit Generalmusikdirektor der Südwestdeutschen Philharmonie war. Erst als ich sechs Jahre alt war, sind wir nach Wien gezogen – ich habe gleich anschließend die Aufnahmeprüfung an der Musikuniversität absolviert und darf seitdem dort meine Ausbildung genießen.

Wer hat Sie als Musiker am Meisten geprägt?

Hier muss ich in erster Linie natürlich meine Familie erwähnen. Schon von Kindesbeinen an war ich mit klassischer Musik in Berührung, vor allem bei Orchesterproben meines Vaters. Mein Interesse an Musik wurde spielerisch gefördert, ich konnte die verschiedensten Instrumente wie Klavier, Blockflöte oder Posaune ausprobieren, auch weil diese zuhause einfach vorhanden waren. Offensichtlich habe ich meinen Eltern irgendwann zu Verstehen gegeben, dass ich auch gerne einmal Geige spielen würde, denn ich habe alle halbwegs passend geformte Gegenstände zwischen Kinn und Schulter geklemmt und dazu gesummt. So haben sie dem zweieinhalbjährigen Christoph eine Fabriksgeige in Sechzehntel-Größe geschenkt – »eine echte Geige«, stellte ich damals freudestrahlend fest. Sie hat heute noch einen Ehrenplatz in unserem Musikzimmer.

Viel zu verdanken habe ich besonders meinem drei Jahre älteren Bruder, der mir viele musikalische Bereiche erklärt hat; so hat er mir beispielsweise im Alter von drei Jahren das Partituren-Lesen beigebracht – wir begannen, nicht ganz bescheiden, mit Bartóks Musik für Saiteninstrumente! Später haben wir viel zusammen musiziert, zuerst am Schlagwerk – wobei er natürlich das »Königsinstrument«, die Pauke, übernahm –, dann an unseren »Stamminstrumenten«.

Sehr geprägt haben mich naturgemäß meine Instrumentallehrer, Eugenia Polatschek und Josef Hell. Sie haben mir – im ersten Fall zehn Jahre lang – ein Grundgerüst vermittelt, über dem ich versuche mich künstlerisch frei zu entfalten. Ergänzt wurde dies durch Meisterkurse und künstlerische Begegnungen, zum Beispiel mit Daniel Barenboim und Maxim Vengerov, mit dem ich erst kürzlich zwei Wochen lang äußerst intensiv zusammengearbeitet habe.

Welchen Stellenwert nimmt die Kammermusik in Ihrem Musikerleben ein?

Die Kammermusik bildet einen Bereich, den ich – unabhängig von meinem weiteren musikalischen Werdegang – weiterhin betreiben will. Man könnte sie auch als effektive Schule fürs Leben betrachten: man lernt, einander zuzuhören und aufeinander einzugehen; man muss Kompromisse eingehen; man kann seinen eigenen Standpunkt vertreten, hat aber die Reaktion der Mitstreiter abzuwarten; das Ensemble hat oberste Priorität, technische und musikalische Probleme müssen zusammen bewältigt werden.

Im Moment spiele ich mit meinem Bruder in einem Klaviertrio, mit dem wir schon einige Wettbewerbe erfolgreich bestritten haben. Wir hatten auch für einige Zeit ein Streichquartett, mit dem wir schöne Konzerte spielen und großartige Stücke erarbeiten konnten; leider ist ein Mitglied zum Studieren ans Pariser Conservatoire gegangen, und einen vollwertigen Ersatz konnten und wollten wir nicht finden.

So begnügen wir uns nun mit der Pflege einer weiteren typisch »wienerischen« Tradition: der Hausmusik. Meist sonntags lädt meine Familie musikalische Freunde und Bekannte ein, die entweder aktiv am Blattspiel teilnehmen oder den passiven Part genießen. Zu unseren Stamm-Musikpartnern zählt mittlerweile ein ehemaliger Solo-Bratschist der Wiener Philharmoniker, der außerdem Mitglied eines international erfolgreichen Quartetts war. Wenn man dann eine Aufnahme des Schubert-Quintetts mit diesem Ensemble hört – eine der musikantischsten Einspielungen dieses Werkes, die ich kenne –, und es dann anschließend mit einem Mitglied eben dieser Aufnahme und weiteren Freunden wiedergibt, dann weiß man das sehr hoch zu schätzen. Immerhin wagten wir uns besetzungstechnisch (und musikalisch) schon bis zu Schönbergs »Verklärter Nacht« und den beiden Brahms-Sextetten vor.

Welche Erfahrungen haben Sie beim Verbier Festival gemacht?

Ich bin seit letztem Jahr Mitglied des UBS Verbier Festival Orchestra. Dessen Musiker im Alter von 17 bis 29 Jahren kommen aus allen Teilen der Welt, dementsprechend vielseitig gestaltet sich der kulturelle, musikalische und soziale Austausch. Das Herzstück des Orchesterjahrs bildet eine sechswöchige Arbeitsphase im Sommer, während der die Musiker in Verbier (Kanton Wallis) stationiert sind. Hier werden drei Wochen lang mehrere Programme erarbeitet, die dann während des Verbier Festivals mit berühmten Dirigenten und Solisten aufgeführt werden. Im Herbst kommt eine mehrwöchige Tournee, die durch mehrere Kontinente führt, hinzu. Dazwischen gibt es einige interessante Projekte, meistens als Kammerorchester oder in Kammermusikformationen, sodass man einige Mitglieder mehrmals im Jahr an den unterschiedlichsten Orten sieht.

Letztes Jahr zählten für mich zu den Highlights: eine Schostakowitsch-Symphonie unter Valery Gergiev, Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen mit Thomas Quasthoff, und Mahlers Auferstehungssymphonie unter James Levine. Diesen Sommer konnten wir mit Christoph von Dohnányi Mozart- und Beethoven-Symphonien aufführen, weiters stand unter anderem Verdis Requiem mit James Levine auf dem Programm.

Da Verbier im Sommer – außer zu Festivalzeiten – nicht besonders belebt ist, bleibt den Orchestermusikern kaum etwas anderes über, als sich miteinander zu beschäftigen. Für mich macht aber genau das einen großen Reiz dieses Festivals aus. So haben wir dieses Jahr fast so etwas wie ein privates Kammermusikfestival gegründet, indem wir uns während der ersten zwei Wochen jeden Abend zum Musizieren zusammengesetzt haben – nach täglich jeweils sechs Stunden Proben! Einigen, die ähnlich verrückt nach Kammermusik waren wie ich, bereitete das allerdings viel Spaß. Außerdem kam es auch vor, dass wir diese Quartette, Quintette und Sextette sogar während des Festivals aufführen konnten: in einem eigens dafür geschaffenen Rahmen, den »Windows on the Orchestra«, die – bei freiem Eintritt – immer um elf Uhr abends in der Kirche von Verbier stattfinden. Dort konnte ich sogar ein Mozart-Violinkonzert mit Orchester aufführen, indem ich einige Orchesterkollegen zusammentrommelte und aus dem Orchester selbst einen Dirigenten ausfindig machte.

Welche Bedeutung hat Johann Sebastian Bach für Sie?

Bachs Sonaten und Partiten sind für jeden Geiger der Gipfel der Solo-Violinliteratur. Erst vor kurzem dachte ich mir, dass es für einen Geiger eigentlich eine Art Lebensaufgabe ist, diese Werke einzustudieren – es können Jahrzehnte vergehen, bis man allein all die technischen Schwierigkeiten, die einem bei diesen Stücken gestellt werden, überdacht und bewältigt hat; von den musikalischen Anforderungen ganz zu schweigen. Das tut jedoch dem Reiz keinen Abbruch; jeder Geiger versucht, diesen Herausforderungen auf seine eigene Art und Weise zu begegnen. Ich denke nicht, dass man irgendwann eine absolut gültige, eine ideale Lösung dafür finden kann, nicht einmal »bloß« für seine eigene Interpretation. Man ist gezwungen, seine eigenen Ansichten immer neu zu überdenken.

Das macht für mich auch die Besonderheit Bachs aus: seine Musik ist nicht nur technisch überragend, sondern auch immens ausdrucksstark. Sehr gute Kontrapunktiker lebten vor und zu seiner Zeit – das musikalische Genie eines Johann Sebastian Bach ist für mich allerdings einmalig.

© Christoph Koncz, 2006